Der Qualitätsjournalismus steht unter Druck. Dies das Hauptthema des Journalistinne-Kongresses 2022. Im schönen Saal des „Haus der Industrie“ in Wien begrüßte die Kongressinitatorin Maria Rauch-Kallat die vielen jungen, neuen und altbekannten Journalistinnen, Medienschaffende, Agenturmenschen, Unternehmenssprecherinnen u.v.a. Seit 24 Jahren gibt es den Journalistinnen-Kongress und erschütternd war das Anfangszitat der Initiatorin aus dem Jahr 1998: „Trotz starker Präsenz in Medienjournalismus gelingt es Frauen nicht, Spitzenpositionen zu erringen.“ Ein Zitat, das so aktuell ist wie nie. Das Grusswort der Bundesministerin für EU und Verfassung, Karoline Edtstadler klang glücklicherweise etwas hoffnungsvoller, nämlich, dass das Bewusstsein für Frauenförderung angekommen und viele Schritte in die Wege geleitet seien, um die Früchte dieser Gleichstellungspolitik in den nächsten Jahren ernten zu können.
Enttäuschend war am sehr inspirierenden Journalistinnen-Kongress nur die erste Keynote und der männliche Referent und zwar in vielerlei Hinsicht. Besonders stossend war der Exkurs mit dem umstrittenen Beispiel aus Bernhard Pörksens Buch der „Grossen Gereiztheit“ zur „erfundenen Vergewaltigung“ als Prototyp der Fake News. Fake News, so die Erkenntnis vieler klugen Netzfrauen wie Ingrid Brodnig, sind von Bots, Trolls, Verschwörungstheoretikern via TikTok, YouTube und Facebook verbreitet. Das so wichtige Thema „Frauen und Medien“ wurde also ausgerechnet am Journalistinnen-Kongress von einer Referentin und einem Referenten behandelt, die punkto Literatur nicht up to date waren und darüber hinaus die führenden Wissenschaftlerinnen in diesem Gebiet ignorierten. Zudem verbreiteten die Wissenschaftlerin und der Referent den Eindruck, dass es kaum Instrumente der Aufhebung der ungleichen Medienberichterstattung zu Frauen gäbe – außer dass „Zeit alte Muster“ mit „der Zeit“ verändern könnte, was völliger Unsinn ist. In Frankreich und Spanien verändert sich die Gleichstellungspolitik grad äußerst rasant durch die vorgeschriebenen Frauenquoten – ein Begriff, der von den Beiden nicht genannt wurde.

Diesen Versäumnissen und verpassten Chancen im Thema „Frauen und Medien“ folgten ausgezeichnete Panels; zunächst zum Phänomen SLAPP mit der Erkenntnis, dass auf Medienschaffende, Unternehmen und teils auch Politisierende enormer Druck ausgeübt wird, sowohl im Agenda Setting mittels Vermeidung von wichtigen Themen als auch der juristischen Einschüchterung von Journalistinnen und Journalisten zwecks Einschränkung der journalistischen Freiheit. Dagegen helfen starke Redaktionen sowie hohe Professionalität und hohe Standards, wie dies ja schon Maria Rauch-Kallat in ihrem Einführungsreferat festgehalten hatte. Außerordentlich aufschlussreich war auch „Wieviel Wahrheit ist den Menschen zumutbar?“ unter anwesenden Kriegsreporterinnen, die dafür plädierten, der Wahrheit in Text und Bild verpflichtet zu bleiben und nicht die Täterperspektive in den Fokus zu nehmen, sondern den Opfern, den Zusammenhängen und den Abläufen vor Ort Stimmen und zwar vielseitige Stimmen, zu geben. Auch das Panel „Die Presse im Sold der Mächtigen“ zeigte, wie zwar die Voraussetzungen für die freie und qualitativ hohe Berichterstattung schwieriger geworden sind, dass indessen beim Einhalten der schon jetzt klaren Standards, die Trennung zwischen Werbung und Journalismus gegeben sei, dass dabei die Transparenz eine entscheidende Rolle spielen sowie die Erkenntnis von Nana Siebert (Standard Edition Zukunft): „Qualität setzt sich selbst in wirtschaftlich schweren Zeiten durch“, wie der Standard, der weniger Berichte, dafür mehr recherchierte und faktentreue Geschichten produziere, beweise. Die journalistischen Einflüsse auf Gender-Vielfalt in österreichischen Medien wurden dann von der exzellenten Moderatorin Alexandra Wachter auf den Punkt gebracht: „Männer zitieren Männer. Männer zitieren Frauen höchstens zu 24 Prozent all ihrer Berichte, Frauen immerhin zu 38 Prozent aller Berichte“.

Auffallend war die große Präsenz von ganz jungen Frauen, das die Organisatorinnen sehr freute, die aber der alten Politphilosophin und Medienkennerin wie ich sie bin, ein Warnzeichen darstellte. Denn aufgrund der Erfahrung der letzten 50 Jahre wissen wir aus der Berufs- und Karriereforschung, dass je mehr Frauen ein Berufsfeld erobern, dessen Ansehen, dessen Löhne und dessen gesellschaftspolitische Relevanz sinken. Insofern kann die Verweiblichung des Journalismus in den unteren und mittleren Stufen nicht nur ein gutes Zeichen sein. Der Nachmittag war dann den Break-Out Sessions mit unterschiedlichen Themen gewidmet und die letzte Veranstaltung waren die Living News: Role Models im Gespräch mit den YoungStars – eine grosse Chance, die Stars der Branche live zu erleben. Bei tollen Leckereien und Prosecco inklusive fröhlichen Networking, klang der für die Medien so wichtige Journalistinnen-Kongress 2022, angeregt aus.

Kongressbericht von Dr. Regula Stämpfli, Politphilosophin & Journalistin für die SMF.
Das neue Buch von Regula Stämpfli: Sex, Katzen und Diäten (Zürich 2021) lehrt mit den Kultkolumnen politisches Denken und fasst die Entwicklung der Mediendemokratie der letzten Jahre zusammen.

Fotos: Michaela Hessenberger